Freud's "Core of our Being" Between Cytology and Psychoanalysis

Ber Wiss. 2013 Sep;36(3):226-244. doi: 10.1002/bewi.201301604.

Abstract

Freud's "Core of our Being" Between Cytology and Psychoanalysis. This article deals with an aspect in the work of Sigmund Freud that lies at the heart of his psychoanalytical theory: the biological underpinnings of the "Kern unseres Wesens" (the core of our being). This is the phrasing Freud used in his first and his last description of the unconscious. Notwithstanding the centrality of this notion for both Freud's work and for the intertwined history of biology, brain research, and psychoanalysis, cytological aspects of 'the core of our being' remained untouched in the growing body of studies on his biological background. Before Freud began his career as a therapist, he spent over a decade working as a medical biologist. First in the laboratory of Ernst Wilhelm von Brücke, in the orbit of Hermann von Helmholtz's thought, and later in neurologist Theodor Meynert's laboratory, Freud focussed principally on the visualisation of (primarily neuronal) cells. Amongst the over 100 articles Freud produced during these years we find a publication that presents pictures for the first time of what would decades later be accepted as 'nuclear motility'. To describe what he observed, Freud used the common cytological term 'Verdichtungen' and introduced another - 'Verschiebungen' - in reference to the 'Zellkern' (the nucleus). These are essential terms which Freud would later use to describe the dreamwork of the unconscious. The fact that Freud presented his work as inspired by Darwin additionally invites investigation of the relationship between his visual experience of the 'Zellkern' and his concept of the "Kern unseres Wesens". Freud's drawings and verbal images as metaphors of the 'Kern' (core) are so intricately connected, that many of his metaphorical expressions could be taken as ontological. Freud consistently sought to contend the assumption that his psychoanalytical models were of material or biological import. Rather than having been driven by his existing biological preconceptions or observations without being aware of them, Freud's involvement in the contemporary debate between plasmatic and nuclear theories of memory suggests his deliberate use of this powerful rhetoric.

Freuds „Kern unseres Wesens”︁ zwischen Zytologie und Psychoanalyse. Dieser Artikel befasst sich mit einem Aspekt in Sigmund Freuds Werk, der zentral ist für seine psychoanalytische Theorie: die biologischen Anleihen im “Kern unseres Wesens”. Dies ist der Begriff, den Freud in seiner ersten und letzten Beschreibung des Unbewussten wählte. Dieser Begriff ist nicht nur von maßgeblicher Bedeutung für Freuds Werk, sondern auch für die miteinander verwobene Geschichte der Biologie, der Hirnforschung und der Psychoanalyse. Trotz der wachsenden Anzahl von Studien zu Freuds biologischem Hintergrund blieben die zellbiologischen Aspekte des “Kerns unseres Wesens” bisher allerdings unberührt. Bevor Freud seine therapeutische Praxis eröffnete, arbeitete er über ein Jahrzehnt als medizinischer Biologe. Im Labor zunächst von Ernst Wilhelm von Brücke, im Einflussbereich von Hermann von Helmholtz, sowie im Labor des Neurologen Theodor Meynert verbrachte er den überwiegenden Teil seiner Zeit mit der Visualisierung von (primär neuronalen) Zellen. Unter den über 100 Artikeln, die er während dieser Jahre produzierte, findet sich eine Publikation, die erstmals Bilder zu einem Phänomen präsentiert, das später als ‘nuclear motility’ in die Lehrbücher eingeht. Um darin zu beschreiben, was er im Zellkern sah, verwendete Freud den in der Mikroskopie gängigen Begriff der ‘Verdichtungen’ und führte einen weiteren, den der ‘Verschiebungen’, ein. Dies sind essentielle Termini, die Freud später nutzte, um die Traumarbeit des Unbewussten zu erläutern. Gemeinsam gelesen mit der Tatsache, dass Freud selbst sich als von Darwin inspiriert darstellte, motiviert dies dazu, die Beziehung zwischen seiner visuellen Erfahrung mit dem Zellkern und seinem Konzept des „Kerns unseres Wesens”︁ zu untersuchen. Seine Zeichnungen und die in Wort gefassten Bilder (Metaphern) bezogen auf den Kern sind so sehr miteinander verwickelt, dass viele seiner metaphorischen Ausdrücke sich ontologisch verstehen lassen. Freud wandte sich stets gegen die Unterstellung, seine Modelle seien materiell‐biologisch deutbar. Es ist daher nicht anzunehmen, Freud hätte von seinen biologischen Vorverständnissen und Vor‐Ansichten Gebrauch gemacht, ohne sich dessen gewahr zu sein. Stattdessen spricht sein Engagement in der zeitgenössischen Auseinandersetzung zwischen plasmatischen und nucleo‐zentrischen Theorien des Gedächtnisses für eine absichtsvolle Verwendung dieser machtvollen Rhetorik.

Keywords: Cytology; Erinnerung; Es; Freud; Gedächtnis; Id; Kern unseres Wesens; Vererbung; Zellbiologie; Zellkern; core of our being; das Unbewusste; inheritance; memory; nucleus; ontological metaphor; ontologische Metapher; the unconscious.